München | 01.04.2023 | Der Zauberer






1 | Einst gab es einen Zauberer - jedenfalls hielt er sich am Ende seines Lebens selbst dafür - der zunächst nur bekannt war für seine Eloquenz und eine für unser Land sehr typische Leidenschaft und für deren ungehinderte Ausübung er extra in die Politik gegangen war. Lange stritt er nur mit mäßigem Erfolg für seine Leidenschaft, bis er eine brillante Idee hatte. Er sollte berühmt werden für ein magisches Wort, welches viele Menschen, gerade auch viele junge, gut gebildete Menschen, aber auch die Mehrheit der Älteren, bis hin zum Kanzler unseres kleinen Landes, in seinen Bann schlagen sollte. Denn ihnen erschien es plötzlich so, als verfolgte der Zauberer einen lang vorbereiteten Plan, dessen brillante Logik sie nun zu erkennen glaubten und überzeugte - bis es zu spät war.


2 | Das kleine Land wurde nämlich, wie fast überall auf unserer kleinen Erde, von immer schlimmeren Dürren, Waldbränden und Fluten heimgesucht. Manche hielten etwas, dass sie Treibhausgase nannten, für die Ursache, die meisten glaubten lieber, dass es sich nur um eine Laune der Natur handelte, die ihnen ungelegen kam und sie in Ausübung ihrer liebsten Tätigkeiten, Autofahren, Grillen, in die Ferne Fliegen, nur störte. Aber unser Zauberer sah darin vor allem eine Chance, zu Ruhm zu gelangen und mit dem Ruhm zugleich auch seiner eigenen Leidenschaft ungehindert nachgehen zu können.


3 | Es war die Zeit, zu der die Menschen wegen der Dürren und Brände und Fluten doch zunehmend in Sorge gerieten, dass sie ihren Alltag hätten ändern müssen und sich nicht mehr so viel hätten leisten können, um den Launen der Natur entgegenzutreten. Da kam es sehr gelegen, dass der Zauberer versprach, mit nur einem Zauberspruch das kleine Land und seine fleißigen Bürger davor bewahren zu können, groß etwas an ihrem Wohlleben ändern zu müssen. Denn würde irgendwo ein Acker zu verdorren drohen, so müsste der Bauer ihn nur rufen und er würde sich sogleich auf schnellsten Wege zu ihm begeben und mit seinem Zauberspruch würde er es regnen lassen, sanft aber ausdauernd, so wie er sich immer auch in seinen vielen Interviews zeigte. Würde anderswo eine Feuerwalze auf ein kleines Dorf zu rasen, so müsste die Feuerwehr ihn nur rufen und er würde zum Brandort eilen und mit seinem Zauberspruch dem Inferno ein Ende bereiten, mutig und entschlossen, so wie es ihm besonders in einer Zeitung zugesprochen wurde. Und würde sich ein Bächlein zu einer Flut erheben und einen ganzen Ort zu verschlingen drohen, so müsste das Bürgermeisterlein nur eines tun, nämlich unseren mächtigen Zauberer anrufen. Er würde sogleich auf kürzestem Wege anreisen, seinen Zauberspruch aufsagen, und die Fluten würden sich teilen, so demütig, wie gewiss nur er es fordern konnte.


4 | Und da fiel es den Menschen wie Schuppen von den Augen: Als erstes war es der Kanzler des kleinen Landes, der den Plan des Zauberers zu erkennen glaubte, den guten Weg und den Zauberer fürderhin nach Kräften unterstütze und sich sogleich nur noch als Klimakanzler ansprechen ließ. Der Zauberer gewann auch sehr schnell das Parlament mit seinen Versprechungen, dem entzückt die Augen aufgingen, wie sehr vielen Menschen im Land. Manche leugneten sogar, dass sie dem Zauberer und seinen Forderungen bis dahin vehement widersprochen hätten. Die Mehrheit glaubte nun zu verstehen, warum er sich so energisch für einen Zaubertrank für sein Automobil, genannt E-Fuels, eingesetzt hatte: Doch nur, damit er auch in Zukunft mit seinem schnellen Auto zu den Katastrophen eilen konnte und alle freuten sich natürlich auch, weil sie weiterhin ebenso ungehindert ihre großen Autos durch das Land bewegen sollten. Nun begriffen Sie, warum der Zauberer die vielen Autobahnen so schnell wir möglich bauen wollte: Doch nur, um seinen rettenden Zauberspruch unverzüglich an Ort und Stelle dem Unheil entgegen schleudern zu können und auch dies machte viele Bewohner des kleinen Landes glücklich, denn Sie konnten noch mehr Ziele mit ihren wunderbaren Autos ungehindert über die Autobahn erreichen. Und endlich wurde sichtbar, warum sich der Zauberer jahrelang bei einigen wenigen, aber um so unangenehm energischeren Aktivisten mit seinem Eintreten gegen ein Tempolimit auf den Autobahnen so unbeliebt gemacht hatte: Natürlich nur, um den Menschen so schnell wie es sein wunderbares Auto zuließ, mit seinem allmächtigen Zauberspruch beistehen zu können. Und auch dies war der großen Mehrheit der Menschen in unserem kleinen Land sehr willkommen, gaben sie doch für ihre schnellen Autos nicht selten sogar mehr Geld aus, als für die Bildung und Gesundheit ihrer eigenen Kinder. Und mit einem solch effektiven Zauber war auch nicht länger das geliebte Grillen oder Fliegen in Gefahr, so waren viele schnell und gerne überzeugt.


5 | Als das Land schließlich verdorrt war, die Wälder verbrannt und viele Orte eben doch von Fluten heimgesucht, obgleich der Kanzler des Zauberers immer mehr E-Fuels aus Steuermitteln hatte produzieren lassen, er noch mehr Autobahnen hatte bauen lassen und bis zuletzt dafür gesorgt hatte, dass noch immer kein Tempolimit unseren Zauberer behinderte, begannen die ersten, sogleich als ideologisch verblendet geltende Menschen, die Wirksamkeit des Zauberspruchs in Frage zu stellen. Noch immer wollte eine Mehrheit nicht glauben, dass der Zauberer und sein wunderbarer, Glanz und Zukunft geradezu herbei zwingende Zauberspruch versagt hätte. Unsere Zauberer aber, nun schon lange zu alt geworden, um mit seinem schnellen Auto von Katastrophe zu Katastrophe zu eilen, staunte selbst über die Macht seines Zaubers, denn er hatte mit nur einem einzigen Wort dafür sorgen können, ungehindert Tag für Tag mit seinem wunderbaren Sportwagen durch das Land zu jagen, zumal die Autobahnen - was ihn wenig überraschte - immer leerer wurden. Er glaubte nun selbst, ein großer Zauberer zu sein und so waren seine Zauberformel dann auch seine letzten Worte, die er auf dem Sterbebett stammelte, jeder konnte sie in der letzten Ausgabe der großen, einzig verbliebenen Zeitung lesen, die stets für den kleinen Mann und die einzig wahre Wahrheit eintrat und die immer irgendwie aus nächster Nähe unseres Zauberers zu berichten wusste: Technologieoffenheit. Tech...nolog...offenheit. ...log offen...


© Hans Georg Peters | texsicht.de | 01.04.2023 |