München | 26.05.2020 | Masken






1 | Mit ohne Maske


Dem Edelmann von heute, inzwischen zu höchsten Staatsämtern aufgestiegen, gelingt etwas Bemerkenswertes, nämlich sich dadurch zu maskieren, dass er sich ohne Maske zeigt. Mit dem Zeichen, sich der Corona-Schutzmaske zu verweigern, die ja bekanntlich dem Schutz der Mitmenschen dient, zeigt er sein wahres Gesicht - man ist am Schicksal des Volkes nicht wirklich interessiert. Das wäre der Rede nicht wert, wenn diesen neuen Edelleuten - der Typus greift um sich - nicht zugleich etwas komplett Gegenteiliges mit ihrem maskenfreien Antlitz gelingen würde, nämlich die Maskierung zum Volkshelden. Er inszeniert sich mit der Befreiung von der Corona-Zwangsmaske als Befreier aus ganz anderen, üblen und zugleich sonderlich ungreifbaren Unterdrückungsverhältnissen und wird als solcher von einer zunehmenden Anhängerschaft gefeiert. Da man aber nur jemanden befreien kann, der auch befreit werden möchte, stellt sich also die Frage, wovon die Anhänger des mutigen Helden so dringend befreit werden wollen, dass man sogar am eigenen Schicksal offen Desinteressierten die Rolle des Befreiers erst ermöglicht? Die Gründe müssten so etwas wie echte Gefangenschaft, großes materielles Elend, brutalste Unterdrückung sein. Das Verweigern eines Mundschutzes, so unangenehm sein Tragen auch sein mag, wird diesen Widerspruch nicht auflösen können. Wir halten uns hier offenkundig im Bereich des Symbolischen, der medialen Kommunikation auf - und darin könnte die Lösung des Rätsels liegen: Wenn das Verhältnis von Volksheld und Volk in keiner Weise als echte Befreiung betrachtet werden kann, dann könnte der Jubel, der dem Mann ohne Maske entgegengebracht wird, unter Einbeziehung ökonomischer Kategorien erklärbar sein, denn der Volksheld ist vielleicht primär ein Medienprodukt. Der Witz ist, dass ausgerechnet der Archetyp des maskierten Volkshelden die Vorlage zu dieser Produktion geliefert zu haben scheint.



2 | Zorro


Don Diego de la Vega führte das Leben eines reichen Edelmanns und Salonlöwen, der heimlich als Zorro, unter der Maske eines Volksbefreiers geschickt für die Verbreitung seiner Marke sorgte, die mit Maske, Mantel und Degen assoziiert wurde und wird. Auch die auffällige Kopfbedeckung dient der Identifikation des Helden. Seine Marke wird bis heute multimedial ausgebaut, zunächst in autobiographisch gefärbten Romanen (Gohstwriter Johnston McCully), ihnen folgten Filme mit besonderer Fokussierung auf die Kernmarke (Die Maske des Zorro, Regie Martin Campell), bis hin zu Computerspielen (Zorro, Publisher U. S. Gold). Das Volk wird also zum Teil eines markengetriebenen Events, wie es die Popkultur typischerweise hervorgebracht hat. Entsprechend sind die politischen Motive des Befreiers, wie sie echte Befreiungskämpfer auszeichnet, vollkommen gleichgültig. Was zählt, ist die Marke, die muss entwickelt und gepflegt werden. Denn es ist beim Konsum popkultureller Produkte eben so, dass sich ihr Unterhaltungswert recht schnell abnutzt und daher fortlaufender Innovation bedarf, um am Markt weiterhin attraktiv zu sein. Don Diego ergänzte sein Portfolio um eine Liebesgeschichte, die sehr begehrenswerte Lolita Pulido war ganz besonders zu befreien. Zu Maske, Mantel und Degen gesellte sich die Peitsche. Mit der Peitsche wurden zunächst die Gegner entwaffnet, später diente sie auch als Hilfsmittel für waghalsige Kletterpartien. Die jüngsten Innovationen der Marke des Volksbefreiers, des Edelmanns von heute, sind nun das öffentliche Ablegen der Maske, und die Peitschenschläge knallen in sozialen Medien wie Twitter, wo er sich regelmäßig in den gewagtesten Sprachungetümen versteigt.



3 | Marken und Masken


Als das Volk gegen tödliche, rassistische Polizeigewalt protestierte, kommentierte dies der volksbefreiende Mann des Volkes, der, selbst befreit von der Maske, nunmehr direkt aus seiner herrschaftliche Residenz agieren kann, mit den folgenden Worten: Great job last night at the White House by the U.S. @SecretService. They were not only totally professional, but very cool. I was inside, watched every move, and couldn’t have felt more safe. They let the “protesters” scream & rant as much as they wanted, but whenever someone got too frisky or out of line, they would quickly come down on them, hard - didn’t know what hit them. The front line was replaced with fresh agents, like magic. Big crowd, professionally organized, but nobody came close to breaching the fence. If they had they would have been greeted with the most vicious dogs, and most ominous weapons, I have ever seen. That’s when people would have been really badly hurt, at least. Many Secret Service agents just waiting for action. “We put the young ones on the front line, sir, they love it, and good practice.” As you saw last night, they were very cool & very professional. Never let it get out of hand. Thank you! (twitter.com/realDonaldTrump, 30.05.2020). Die Entwicklung der Marke kennt nur ein Ziel, nämlich ihren Marktwert zu steigern. Es scheint also gleichgültig sein, ob der Volksheld nur Fiktion ist, eine Rolle spielt oder real ist. Es kommt auf die Maske und die Marke an, und die Marke ist ein Spiegelbild der Maske.



4 | Hinter den Masken


Die ursprüngliche Groschenroman-Serie mit dem Titel The Curse of Capistrano wurde, der medialen Markenentwicklung im Kino folgend, 1924 unter dem Namen The Mark of Zorro neu heraus gebracht. Seit der ersten Verfilmung 1920 schlüpften unzählige Schauspieler in die Rolle des Don Diego, an deren Namen sich kaum jemand mehr erinnern kann. Um die Marke ist ein erbitterter Streit zwischen Rechteverwertern entbrannt. Es scheint darauf hinauszulaufen, dass die Rechte an der Marke längst erloschen sind. Dort, wo alles begann, an der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko, will der Mann ohne Maske nun eine Mauer bauen, kurioserweise ein weiterer Markenartikel einer untergegangenen Marke, vergangen, wie auch der Mann ohne Maske bald Vergangenheit sein wird. Aber Zorro, Zorro reitet immer weiter. Er wird solange reiten, wie es Menschen gibt, die zurück gelassen wurden in einer existenziellen Ödnis, aus der sie heraus wollen. Und wenn ihnen niemand anderes Wege hinaus eröffnet, dann soll die Ödnis wenigstens mit leichter Unterhaltung, Merchandising und einer wagen Hoffnung drapiert werden, die ihnen aber nicht zuviel kosten sollte.


© Hans Georg Peters | texsicht.de | 29.11.2020 |