München | 30.04.2018 | Faust auf dem Kreuzweg
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1 | Faust in München
Hybris lautet einer der zentralen Begriffe, wenn es um die Deutung des Faust geht, der dieses Jahr eine zentrale Rolle im kulturellen Jahreskreis in der Stadt München spielt. (So in der Kunsthalle München, im Residenztheater und über einhundert weiteren Kulturinstitutionen. Warum das so ist, scheint übrigens ein weiterer Gegenstand zu sein, der Deutungsmöglichkeiten zulässt.) Faust jedenfalls ist unglücklich darüber geworden, dass er seine selbst- und hochgesteckten Ziele nicht erreichen kann und im unaufhaltsam steten Streben zugleich die Freude am Leben und schließlich sich selbst verloren hat: Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon ganz nah gedünkt dem Spiegel ew'ger Wahrheit, sein selbst genoss in Himmelsglanz und Klarheit, und abgestreift den Erdensohn. (Vers 614ff.) Im Residenztheater sind die Konsequenzen - gestern mir etwas zu laut und grell - vorgeführt worden: Mephisto, gelegentlich irritiert darüber, dass ein Mensch ihr soviel Vergnügen bereiten kann, muss für eben dieses Vergnügen nicht allzuviel tun: Ich seh nur, wie sich die Menschen plagen. Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlag, und ist so wunderlich als wie am ersten Tag. (Vers 280ff.) Faust manövriert sich unter den bekannten Kollateralschäden ins Unglück: Wart ihr für meine Worte taub! Tausch wollt ich, wollte keinen Raub. (Vers 11370f.) Und Erlösung scheint in diesem Falle nicht mehr vermittelbar zu sein.
2 | Hybris! Hybris?
Was aber sind die Eigenschaften, die Goethe, die wir mit dem Begriff der Hybris verbinden? Mehr zu wollen, als es erlaubt ist, als vernünftigerweise erreichbar erscheint. Sich etwas anzueignen, dass einem nicht zusteht, nicht ansteht. Das wären die üblichen ersten Antworten. Der Begriff und auch Fausts Schicksal schweben jedoch in einer gewissen Unschärfe. Wir können das Streben anerkennen, den Mut der darin steckt, wenn das zu hoch gesteckte Ziel nicht nur dem Eigennutz dient. Der erste Atlantik-Flug, die erste Herz-Transplantation, die erste Mond-Landung. Wann immer wir Grenzen überwunden haben nicht um unserer selbst Willen, sondern für ein höheres Ziel, zum Wohle Anderer, beginnt die Hybris Einzelner zu glänzen und wird in der Folge gerne auch von unserer Hybris gesprochen. Wird jedoch der eigene Vorteil gesucht, ist der Unterschied zum bloßen Diebstahl nicht groß, wird das Scheitern nicht selten mit heimlicher Freude, mit Genugtuung begleitet. Umgekehrt aber, wenn solches Unterfangen aus purer Not geschieht, so sind wir nachsichtig, wenn Grenzen übertreten werden. Was wir aber als Notfall anerkennen, hängt doch stark vom Einzelfall ab. Fordert krankhafter Ehrgeiz unsere Nachsicht? Oder die wahnhafte Furcht vor einem Verlust? Oh glücklich, wer noch hoffen kann aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen. Was man nicht weiß, das eben brauchte man, und was man weiß, kann man nicht brauchen. (Vers 1064ff.)
3 | Die Gretchenfrage
Man will also wissen, mit wem und was man es zu tun hat, mit Chuzpe oder Hybris. Also stellen wir mit Gretchen die Frage, die nicht hintergehbare (Vers 3415ff.). Und Faust antwortet: Das Kreuz ist nicht ein Zeichen einer Religion, sondern für die geschichtlich-kulturelle Identität und Prägung des Landes. Margarete erwidert: Das ist nicht recht. Man muss dran glauben. Und Faust erklärt sich: Das Kreuz gehört auch zu den Grundfesten des Staates. Es hat eine identitätsstiftende, prägende Wirkung für die Gesellschaft und ist ein Stück Selbstvergewisserung unserer kulturellen, gesellschaftlichen und immateriellen Werte. Margarte aber spricht: Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen, steht aber doch immer schief darum, denn Du hast kein Christentum. (Neben dem ersten und zweiten Teil der Tragödie gab es weitere, so in den Tagesthemen vom 26.04.2018.)
Aktualisiert: 01.05.2018
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